Mein Sohn ist sechs Jahre alt. Seit zwei Jahren tut er in seiner Freizeit kaum noch etwas anderes, als Fussball spielen. Eine Leidenschaft, die dank Messi, Ronaldo und Co. gerade einen weiteren Höhepunkt erlebt. Doch jetzt droht der Fussballkarriere meines Sohnes ein vorzeitiges Ende.
Dramatische Worte, die sich aber wunderbar für einen Einstieg in eine Kolumne auskosten lassen. Denn natürlich sprechen wir bei einem Sechsjährigen nicht von Karriere, geschweige denn davon, dass irgendetwas ein Ende hat.
Vielmehr bin ich in den letzten Wochen immer wieder über das Thema «freiwilliges Engagement» gestolpert, im Sportverein und in der Gemeinde. Anlass genug, über das vermeintliche «Vereinssterben» nachzugrübeln. Aber am besten fange ich von vorne an.
Die Zeit vor den Sommerferien gehört für Eltern zu den stressigsten Zeiten überhaupt. Kindergarten, Schule, Musikschule und Sportverein übertrumpfen sich mit Veranstaltungen zum Schuljahresende, und noch bevor das eine Schuljahr zu Ende geht, sehen wir uns gezwungen darüber nachzudenken, welchem sportlichen, musischen oder handwerklichen Hobby unsere Schützlinge im nächsten Schuljahr nachzugehen pflegen.
So weit, so gut. Doch beim Blick auf das Angebot fällt auf: Die Kurse beginnen immer später und die Teilnehmerzahlen sind stark beschränkt. Der Grund: Zu wenig Kursleiter, zu lange Arbeitstage.
Okay, verständlich – und dennoch: Möchte mein Kind einen Kurs belegen, gilt entweder «Dä Schneller isch dä Gschwinder», oder die Auswahl erfolgt anhand einer Vorselektion. Beides fragwürdig, denn eines Primarschülers Hobby sollte ja vor allem Spass machen, oder?
Wenn ich dann schnell genug war und meine Kind als qualifiziert erachtet wurde, lautet die Konsequenz: Das Abendessen verschiebt sich von 18.30 Uhr auf 19.30 Uhr, die anschliessende Hausaufgabenstunde stellt sich hinten an, ebenso das Zähneputzen, Lesen, zu Bett gehen…
Nun gut, darüber muss ich erst einmal eine Nacht schlafen.
Doch schon am nächsten Morgen werde ich wieder mit dem Thema konfrontiert: Kein Platz im Fussballclub! Wie jetzt? Trotz erreichten Alters, fortgeschrittener Position auf der Warteliste und Teilnahme am Fussballtraining für die Kleinsten?
Hakt man nach, fällt ganz schnell auf: Vereine sterben nicht aufgrund mangelnder Nachfrage. Vielmehr fehlt uns Erwachsenen die Zeit und Lust, ein verbindliches Engagement einzugehen und pünktlich um 17 Uhr auf dem Sportplatz zu stehen.
Grmpf. Irgendwie geht das Spielchen nicht auf. Denn so gerne wir unsere Kinder zu ausserschulischen Aktivitäten motivieren, so ungerne büssen wir unsere eigene Flexibilität ein.
Eine Studie des Observatoriums Sport und Bewegung Schweiz aus dem Jahre 2017 verneint diese Annahme. Zwar laufen kommerzielle Fitness- und Sportcenter mit ihrer Effizienz und Flexibilität den Vereinen den Rang ab, doch nicht alle Sportarten und Mitgliedersegmente sind von rückläufigen Zahlen betroffen. Gerade im Kindes- und Seniorenalter bleibt die Nachfrage weiterhin hoch.
Zu beobachten ist vielmehr eine Verlagerung vom Kegelclub zum Kickboxen, vom Jodelchor zum «Urban Gardening» und auch diese Verschiebung verdeutlicht: Wir scheuen uns vor Verbindlichkeit. Denn fehlt der halbe Jodelchor, weil gerade Badiwetter ist, können die restlichen Sänger und Sängerinnen einpacken.
Vereine erfüllen viele Gemeinwohlaufgaben und bilden den sozialen Kitt einer Gesellschaft. Es finden regelmässig aussersportliche, gesellige Anlässe statt, die von einem Grossteil der Mitglieder (und deren Familien) besucht werden. Eine Tatsache, die Eltern häufig verzweifeln lässt.
Dabei fördert gerade dieses Tun der Vereine die Eigenschaften, die wir unseren Kindern nur allzu gerne mit auf den Weg geben möchten. Gemeinschaftssinn beispielsweise, Rücksicht, Verbindlichkeit und Loyalität. Der soziale Rückhalt, den eine Gruppe gleichgesinnter einem Menschen bieten kann ist nicht zu unterschätzen und dabei ist es egal, ob es sich um den Fussballclub oder Gospelchor handelt.
Starre Trainingszeiten und Verbindlichkeit scheinen tatsächlich die Hauptursachen, warum wir uns im Erwachsenenalter aus dem Vereinsleben zurückziehen. Wir wollen frei sein, flexibel und unsere Freizeit nach Lust und Laune gestalten. Ein fixer Termin kommt da gänzlich ungelegen.
Aber vielleicht sollten wir umdenken. Jobsharing wäre eine mögliche Lösung, mit der viele Sportvereine nach Kursleitern und Freiwilligen suchen, denn damit reduziert sich der fixe Termin auf ein- bis zweimal Mal im Monat. Machbar, oder?
Mir persönlich geht das akrobatische Spiel mit dem Ball leider völlig ab, deshalb findet man mich auch nicht am Rande eines Fussballplatzes. Aber ich habe mir fest vorgenommen, mich anderweitig zu engagieren. Kuchen backen für die Festwirtschaft, Kinderbetreuung in den Spielpausen, Festbänke auf- und abbauen, die Möglichkeiten sind vielseitig.
Rund 350'000 Ämter müssen im Schweizer Vereinssport besetzt werden. Davon werden 96 Prozent im Ehrenamt ausgeübt, so die Studie aus dem Jahr 2017.
Ach ja, noch während ich diesen Artikel verfasse erreicht mich eine frohe Botschaft: Mein Sohn darf nun doch im Fussballclub kicken! Es scheint sich ein weiterer Trainer gefunden zu haben.
Wer Sie auch sein mögen, mein Dank sei Ihnen versichert!
Im Original publiziert auf bluewin.ch am 14.07.2018